Der Zins ist verschwunden, die Anleihen bleiben

29.11.2020

Der Zins ist verschwunden, eine ganze Weile schon, der Kuponvieler Anleihen damit kein "Ertragsbringer" mehr. Besser raus mit den Anleihen aus den Depots? Bloß nicht!

Es gibt diese mehr oder weniger intelligente Phrase: "Früher war alles besser!" Am Stammtisch oft verwendet - wenn es um Fußball geht, das heimische Schützenfest oder Politik. Ich habe sie neulich gehört, nicht in der Kneipe, sondern am Gartenzaun; von meinem Nachbarn, der einige Tage zuvor mit seinem Bankberater gesprochen hatte. "Früher war alles besser. Da gab es noch Zinsen. Vier oder fünf Prozent." Lange ist das her. Ich wurde zuletzt oft gefragt, ob mein Job als Rentenfonds-Manager nicht gänzlich trist sei, weil sich heute schlicht und einfach nichts mehr verdienen lasse mit Anleihen. Man letztlich also nur verlieren könne. Eine "Mission: Impossible" gewissermaßen. Das Gegenteil ist der Fall: Nie war der Job interessanter, weil nie anspruchsvoller. Und ja, mit Anleihen lassen sich nach wie vor ordentliche Renditen erzielen. Man muss nur sehr viel akribischer danach suchen. "Mission: Possible".

"Buy and hold" ist tot

Wer heute in Anleihen investiert, sollte sich von Liebgewonnenem verabschieden. Eine Anleihe zu kaufen, sie bis zur Fälligkeit zu halten und sich einmal im Jahr über den Zinskupon zu freuen - das funktioniert nicht mehr. Weil der Kupon in den allermeisten Fällen schlicht keine oder zu wenig Rendite bringt. Das klassische "Buy-and-hold", wie es der Experte gerne nennt, das Kaufen und Liegenlassen, ist tot. Soweit die schlechte Nachricht. Die gute dagegen lautet: Eine Anleihe hat mehr als nur eine Ertragskomponente, also mehr als nur den Zinskupon. Da wäre beispielsweise der potenzielle Kursgewinn. Der gute Kaufmann schaut, dass er günstig einkauft und dann später teurer verkauft. Es gibt immer wieder Marktphasen und Situationen, in denen einzelne Titel über Gebühr abgestraft werden. Diese Gelegenheiten müssen Investoren erkennen und dann auch nutzen. Für einen Fondsmanager ist es daher heute umso wichtiger, über eine ausreichend große Liquiditätsreserve zu verfügen. Sie verschafft ihm die Flexibilität, Gelegenheiten wahrnehmen zu können. Denn eines hat uns die Geschichte gelehrt: Die Gelegenheiten werden kommen. Wenn nicht heute oder morgen, dann möglicherweise übermorgen. März und April etwa waren für uns sehr gute Monate. Weil die Kurse vieler Anleihen von erstklassigen Emittenten an der Börse über Gebühr abgestraft wurden.

Vorteil gegenüber Aktien

Als Einwand höre ich dann meist, dass es, wenn es künftig allein um Kursgewinne bei Anleihen gehe, doch sehr viel sinnvoller wäre, Aktien zu kaufen; zumal deren Dividendenrendite deutlich höher ausfalle als der Zinskupon bei der entsprechenden Anleihe. Ich sehe das anders, und zwar nicht allein, weil ich es anders sehen muss. Der Vorteil einer Anleihe gegenüber einer Aktie ist, dass die Erträge halbwegs planbar sind. Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Wenn Sie die Anleihe des Unternehmens A zu 80 kaufen, weil deren Kurs zuletzt deutlich gefallen ist - etwa weil die jüngsten Quartalszahlen sehr schwach ausgefallen waren - dann wissen Sie trotzdem, dass Sie am Ende der Laufzeit 100 zurückbekommen; vorausgesetzt natürlich, der Emittent, der Anleiheschuldner, wird nicht insolvent.

Auf den Anleihe-Emittenten kommt es an

Bei einer Aktie haben Sie diese Gewissheit nicht. Wenn sich das Umfeld weiter eintrübt, kann es sein, dass das Unternehmen XY und damit sein Aktienkurs nachhaltig leiden. Dass der Einstiegskurs möglicherweise nie wieder erreicht wird. Sie müssen also beim Aktieninvestment ein sehr viel genaueres Bild davon haben, wie sich ein Unternehmen in den kommenden Jahren entwickelt, wie stark es wächst und wie hoch die Gewinnpotenziale sind. Bei der Analyse einer Anleihe geht es vor allem darum, abzuklären, ob sichergestellt ist, dass der Emittent, ganz gleich ob Staat oder Unternehmen, in der Lage ist, die Anleihe am Laufzeitende zurückzubezahlen. Das ist durchaus ein Unterschied, der bei einem direkten Vergleich für die Anleihe spricht.

Anleger müssen heute viel aktiver sein

Ich möchte aber nicht allein auf den potenziellen Kurs-gewinnen als zusätzlichem Renditebringer bei Anleihen herumreiten. Das Durationsmanagement beispielsweise spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Auch da ergeben sich Renditemöglichkeiten. Oder die Währung. Letztlich müssen Sie als Anleiheanleger sehr viel strategischer vorgehen, sehr viel aktiver sein, also auch sehr viel häufiger handeln, wenn Sie langfristig ordentliche Renditen erzielen möchten. Die Umschlagsgeschwindigkeit innerhalb eines reinen Anleihedepots ist heute mitunter deutlich höher als bei einem Aktiendepot. Die Frage ist, wie das ein Privatanleger leisten soll - mit begrenztem Zeitbudget und ohne direkten Draht zu den großen Anleihehändlern? Sehr schwierig.

Bond-ETFs haben ein Problem

Ein guter, aktiv gemanagter Rentenfonds könnte stattdessen ein geeignetes Instrument sein, um langfristig erfolgreich in Anleihen zu investieren; ich weiß, von einem Fondsmanager eines solchen Fonds werden sie kaum eine andere Empfehlung erwarten können. Trotzdem möchte ich ganz bewusst darauf hinweisen. Zumal ich immer wieder gefragt werde, ob es nicht sinnvoller wäre, statt eines aktiv gemanagten Fonds lieber in einen Rentenindexfonds, kurz ETF , zu investieren. Weil der den Markt eins zu eins abbildet - und obendrein günstiger ist im Unterhalt. Kann man machen, ja, ich gebe aber Folgendes zu bedenken: Rentenindizes funktionieren anders als Aktienindizes, sie sind, verzeihen Sie bitte die flapsige Beschreibung, "Tilt to the Schrott". Was heißt das? Während bei einem Aktienindex das Gewicht der vergleichsweise erfolgreichen Unternehmen wächst (weil deren Kurse, also deren Marktkapitalisierung zulegt), ist es bei einem Anleiheindex genau andersherum - den größten Anteil am Index haben stets die am höchsten verschuldeten Unternehmen. Das steht nicht selten im Gegensatz zum Wunsch eines Anlegers, nur die kreditwürdigsten Schuldner im Portfolio zu haben.

"Tilt to the Schrott"

Hinzu kommt: Renten-ETFs hängen, was die Wertentwicklung betrifft, meist hinter den Indizes hinterher, die sie vorgeben abzubilden. Aufgrund der mitunter größeren Differenzen bei den Geld-Brief-Spannen geht bei den permanenten Index-Anpassungen einiges an Rendite verloren. Ein guter aktiver Manager dagegen wägt ab, ob eine Portfolio-Anpassung nach Transaktionskosten überhaupt sinnvoll ist. Außerdem ist da die mangelnde Flexibilität: ETFs werden in der Regel zu festen Terminen umgebaut, also zum Monatsende, manche gar zum Quartalsende neu gewichtet. Gerade in turbulenten Phasen, so wie im Frühjahr, kann das ein Nachteil sein. Dann nämlich, wenn es darum geht, Chancen zu ergreifen, also gute Anleihen zu günstigen Preisen erwerben zu können. Manchmal geht es da um nicht mehr als einzelne Tage, die im Falle des ETF ungenutzt verstreichen... So einfach, wie das ETF-Label vermuten lässt, ist ein Investment leider nicht.

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Binder Manfred, MLS

allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger

Quelle: Flossbach von Storch

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