Gut zu Wissen - Konjunktur und Börse: Herrchen und Hund        Juli 2020

12.07.2020

Nach dem sogenannten Corona-Crash im März, bei dem die Aktienmärkte weltweit Verluste von durchschnittlich fast 40 Prozent erlitten, ging es an den Börsen deutlich aufwärts. Der größere Teil der Kursverluste ist schon aufgeholt, obwohl die Infektions- und Todesopferzahlen weltweit noch immer steigen. Wie ist es daher um die Weltwirtschaft und die Börsen bestellt? Laufen sie möglicherweise auseinander?

Zu diesem Thema gibt es einen Vergleich des 1999 verstorbenen Börsenexperten André Kostolany. Er verglich den Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Börse mit einem Hund, der mit seinem Herrchen Gassi geht. Der Mensch ist dabei die Wirtschaft und der Hund der Aktienindex. Der Mensch geht zwar mal schneller und mal langsamer, im Großen und Ganzen aber doch vergleichsweise gleichmäßig spazieren. Allenfalls bleibt er mal kurz stehen, noch seltener läuft er ein paar Schritte zurück. Der Hund dagegen hat einen größeren Bewegungsdrang. Wenn er glaubt zu wissen, wo es lang geht, hastet er dem Herrchen gerne voraus. Manchmal bleibt er auch zurück, manchmal wittert er etwas Interessantes und läuft in eine andere Richtung. Insbesondere wenn er unsicher ist, wie es weitergeht, sucht er die Nähe zu seinem Herrchen und läuft neben ihm her. Am Ende kommen Hund und Herrchen natürlich beide am gleichen Ziel an. Dabei ist der Hund durch sein Hin und Her ein Mehrfaches der Strecke gelaufen, die der Mensch zurückgelegt hat.

Übertragen auf Wirtschaft und Aktienkurse bedeutet das folgendes:

Der Wirtschaft wächst zwar mal schneller und mal langsamer, in der Gesamtschau aber doch vergleichsweise stetig. Allenfalls gibt es Phasen schwacher Konjunktur. In einer Rezession geht das Sozialprodukt auch schon mal zurück. Die Börse versucht, diese vorauszusehen. Sie hat gleichsam einen größeren Bewegungsdrang. Wenn die Aktienanleger zu wissen glauben, wo es lang geht, laufen sie der realen Wirtschaft gerne voraus. Manchmal folgt die Börse der Wirtschaft nicht sofort oder wittert etwas, stellt Spekulationen an, was dazu führt, dass die Börse in eine andere Richtung läuft. Aber insbesondere, wenn die Börse unsicher ist, wie es weitergeht, läuft sie zurück und sucht die Nähe zu den greifbaren Fakten. Dann laufen Wirtschaft und Börse parallel, bis die Börse wieder optimistisch vorausläuft oder Gründe hat, zurückzubleiben. Letztendlich koppelt sich die Börse aber nicht von der realen Wirtschaft ab.

Übertragen auf die vergangenen Monate ergibt sich folgendes Bild: Als der Spaziergänger (Realwirtschaft) Anfang März erkannte, dass er aufgrund nicht klar erkennbarer Hindernisse (Pandemie) ein Stück des Weges zurückgehen muss (Rezession), bedeutete das für den schon voraus gelaufenen Hund (Börse), schnell und weit zurücklaufen zu müssen (Crash). Seit Ende März glaubt der Hund zu wissen, welchen Weg sein Herrchen eingeschlagen hat (allmähliche Erholung der Weltwirtschaft) und läuft deshalb wieder voraus. Inzwischen bleibt der Hund ab und zu stehen, um sich zu vergewissern, dass der Mensch noch auf dem eingeschlagenen Weg ist.

Das Szenario, mit dem die Marktteilnehmer mehrheitlich rechnen, ist das einer Konjunkturerholung im zweiten Halbjahr, die sich im kommenden Jahr fortsetzt. 2021 soll die Wirtschaftsleistung deutlich über dem von der Pandemie gezeichneten Jahr 2020 liegen, auch wenn vielleicht noch nicht das Niveau des Rekordjahres 2019 übertroffen wird.

Pessimistische Einschätzungen, die Vergleiche mit der Weltwirtschaftskrise nach 1929 ziehen, sind seltener zu hören. Staaten und Notenbanken machen mit ihren Hilfspaketen auf Rekordniveau das Gegenteil von damals. Auch die Ausgangslage, die Ursachen und der Verlauf der Krise waren ganz anders.

So nimmt die Zahl derer weiter zu, die eine sogenannte U-förmige Erholung der Weltwirtschaft erwarten. Das "U" steht dabei mit seiner Form für die Erwartung, dass auf den plötzlichen Rückgang zunächst ein Tal folgt, bevor es wieder aufwärts geht. Demnach dürfte die Schwäche der Wirtschaft das ganze Jahr 2020 prägen. Weil es im zweiten Halbjahr noch keine Rückkehr zu den "Vor-Corona-Verhältnissen" gibt, dürfte die Gesamtleistung der Weltwirtschaft in diesem Jahr schließlich unter dem Strich rund drei Prozent unter der des Rekordjahres 2019 liegen. In vielen Volkswirtschaften wird der Rückgang mehr als drei Prozent betragen. Stabilisierend wirkt die Wirtschaft Chinas, deren Gesamtleistung in diesem Jahr nicht viel anders als 2019 ausfallen dürfte.

Einige Optimisten sehen noch Chancen dafür, dass das zweite Halbjahr von einer dynamischen Erholung gekennzeichnet ist, sodass das Gesamtjahr 2020 gegenüber 2019 kaum einen Rückgang zeigt. Ein richtiger Wirtschaftsaufschwung würde die Börsen sogar positiv überraschen. Gerade die Aktien von konjunkturabhängigen Branchen sind noch deutlich billiger als vor der Pandemie. Sie haben im Falle eines Aufschwungs noch viel Aufholpotenzial.

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Kontakt

Binder Manfred, MLS

allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger

Artikel Quelle: "Gut zu Wissen" - FinanzAdmin

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